Interpolationsformel nach Lagrange

5.1. Interpolationsformel nach Lagrange#

Wir haben in Beispiel 3.2 bereits eine wichtige Klasse von linearen Ausgleichsproblemen betrachtet, nämlich Probleme in denen ein polynomieller Zusammenhang zwischen den gemessenen Daten angenommen wird. Wir wollen uns im Fall der Interpolation im Folgenden auch mit Polynomfunktionen als Ansatzfunktion

\[g(x; a_0, \ldots, a_n) \ \coloneqq \ P(x) \ = \ \sum_{k=0}^n a_kx^k\]

in (5.2) beschäftigen.

Definition 5.3 (Funktionenraum der Polynome)

Sei \(n \in \mathbb{N}\), dann bezeichnen wir mit \(\Pi_n\) den Funktionenraum aller reellen (oder komplexen) Polynome \(P\) vom Grad \(p \leq n\) der Form

(5.4)#\[P(x) \ = \ \sum_{k=0}^n a_kx^k \ = \ a_0 + a_1x + a_2x^2 + \ldots + a_nx^n.\]

In Direkte Lösung linearer Gleichungssysteme haben wir festgestellt, dass das lineare Gleichungssystem \(Ax = b\) genau dann eindeutig lösbar ist, wenn die Matrix \(A\in\mathbb{R}^{n\times n}\) vollen Rang \(\operatorname{rank}(A) = n\) hat. Wir wollen im Folgenden eine hinreichende Bedingung für den vollen Rang von \(A\) mit Hilfe der Lagrangschen Interpolationsformel angeben.

Satz 5.1 (Eindeutigkeit des Interpolationspolynoms)

Seien \((x_i, f_i) \in \mathbb{R}^2, i=0,\ldots,n\) eine Menge von \(n+1\) gemessenen Datenpunkten deren Stützpunkte paarweise verschieden sind, d.h., es gilt \(x_i \neq x_j, \forall i\neq j\).

Dann existiert ein eindeutiges Polynom \(P(x) \in \Pi_n\), das die gemessenen Daten interpoliert mit

\[P(x_i) \ = \ f_i, \qquad \forall \ i=0,\ldots,n.\]

Proof. Wir beginnen damit die Eindeutigkeit eines Interpolationspolynoms \(P \in \Pi_n\) zu beweisen, falls es existiert. Wir nehmen an es gäbe zwei Polynome \(P_1, P_2 \in \Pi_n\) die an den Datenpunkten übereinsimmen, d.h. es gelte

\[P_1(x_i) \, = \, P_2(x_i) \, = \, f_i, \quad \forall i=0,\ldots,n.\]

Betrachten wir nun das Polynom \(P(x) = P_1(x) - P_2(x)\) als Differenz der vorigen Polynome, so ist klar, dass \(P\) maximal Ordnung \(n\) haben kann und somit \(P \in \Pi_n\) gilt. Andererseits muss \(P\) mindestens \(n+1\) Nullstellen, nämlich genau in den Stützstellen \(x_i, i=0,\ldots,n\) besitzen. Aus der Algebra wissen wir jedoch, dass dies nur sein kann, wenn \(P\) die Nullfunktion ist, d.h. wenn \(P(x) \equiv 0\) gilt. Daraus folgt aber auch schon die Eindeutigkeit, denn dann war bereits \(P_1 \equiv P_2\) überall.

Nun widmen wir uns der Existenz eines solchen Interpolationspolynoms. Hierbei kann man nach Lagrange spezielle Interpolationspolynome \(L_k \in \Pi_n, k=0,\ldots,n\) konstruieren von der folgenden Form

(5.5)#\[L_k(x) \ \coloneqq \ \prod\limits_{i=0,i\neq k}^n \frac{ (x-x_i)}{(x_k-x_i)} \ = \ \frac{(x-x_0)\cdots(x-x_{k-1})(x-x_{k+1})\cdots(x-x_n)}{(x_k-x_0)\cdots(x_k-x_{k-1})(x_k-x_{k+1})\cdots(x_k-x_n)}.\]

Man bezeichnet diese Polynome auch als Lagrange-Polynome. Da die Stützstellen \(x_i, i=0,\ldots,n\) als paarweise verschieden vorausgesetzt waren, sind die Polynome \(L_k\) in (5.5) wohldefiniert. Außerdem gilt offensichtlich, dass die \(L_k, k=0,\ldots,n\) Polynome vom Grad \(n\) sind. Des Weiteren können wir die Lagrange-Polynome \(L_k\) noch umschreiben in

\[L_k(x) \ = \ \frac{\omega_{n+1}(x)}{\omega_{n+1}'(x_k)(x-x_k)}, \quad \text{ mit } \quad w_{n+1}(x) \, \coloneqq \, \prod\limits_{i=0}^{n} (x-x_i) \in \Pi_{n+1}\]

und es lässt sich folgende nützliche Eigenschaften zeigen:

(5.6)#\[L_k(x_i) \ = \ \delta_{k,i} \ = \ \begin{cases} 1, \quad \text{ für } k = i, \\ 0, \quad \text{ für } k\neq i. \end{cases}\]

Wegen der bereits oben gezeigten Eindeutigkeit des Interpolationspolynoms sind die Polynome \(L_k\) also eindeutig bestimmt.

Nun lässt sich mit Hilfe der Lagrangschen Interpolationsformel die Lösung des linearen Interpolationsproblems mittels Polynomen angeben:

(5.7)#\[P(x) \ = \ \sum\limits_{k=0}^n f_k L_k(x) \ = \ \sum\limits_{k=0}^n f_k \prod\limits_{i=0,i\neq k}^n \frac{ (x-x_i)}{(x_k-x_i)}.\]

Offensichtlich gilt \(P(x_i) = f_i, \forall i=0,\ldots,n\) und damit haben wir die Existenz eines solchen Polynoms bewiesen. ◻

Bemerkung 5.2

Setzt man diese Polynome als Basisfunktionen \(g_k(x_i) \coloneqq L_k(x_i)\) mit \(k,i=0,\ldots,n\) in die Matrix \(A\) des linearen Interpolationsproblems in (5.3) ein, so ergibt sich wegen des Kronecker-Deltas in (5.6) die Einheitsmatrix. Das bedeutet, dass die unbekannten Koeffizienten einfach \(a_k = f_k, k=0,\ldots,n\) sind, da offensichtlich \(x = b\) in (5.3) gilt.

Wir bemerken, dass die Lagrange-Polynome \(L_k, k=0,\ldots,n\) in (5.5) völlig unabhängig von den Stützwerten definiert sind. Sind diese also erst einmal für fixe, paarweise verschiedene Stützstellen \(x_i \in \R, i=0,\ldots,n\) berechnet, so lässt sich das Polynom für beliebige Mengen von Stützwerten \(f_i \in \R, i=0,\ldots,n\) effizient auswerten.

Der Nachteil der Lagrange-Interpolation liegt jedoch darin, dass man alle Lagrange-Polynome neu berechnen muss, wenn man eine neue Stützstelle hinzunimmt.