6.1. Interpolatorische Quadraturformeln#
Man erkennt aus der Definition einer Quadraturformel einen Zusammenhang zur Interpolation aus Interpolation, da wir auch hier mit Stützwerten arbeiten. Diese Beobachtung liefert auch den ersten Ansatz zur expliziten Konstruktion von Quadraturformeln, nämlich die sogenannte interpolatorische Quadratur.
Die Idee der interpolatorischen Quadratur ist es die Funktion \(f\) an den Stützstellen \(x_i \in [a,b], i=0,\ldots,n\) durch eine einfach zu integrierende Funktion \(P \in C([a,b])\) zu interpolieren und dann das Integrals von \(f\) durch das Integral von \(P\) zu approximieren, d.h.
6.1.1. Integrationsformeln nach Newton-Cotes#
Der einfachste Fall ist eine Interpolation durch Polynome \(P \in \Pi_n\). In diesem Fall verwenden wir die Lagrange-Polynome aus Interpolationsformel nach Lagrange mit
da diese die Stützwerte von \(f\) direkt verwenden und somit die Form einer Quadraturformel haben.
Setzen wir diese in die interpolatorische Quadratur (6.2) ein, erhalten wir die sogenannten Integrationsformeln nach Newton-Cotes durch
Wir erkennen, dass es sich bei dieser Integration über das Interpolationspolynom \(P\) um eine Quadraturformel nach Definition 6.1 handelt, deren Gewichte unabhängig von der Funktion \(f\) als Integral über die Langrange-Polynome gegeben sind mit
Substituieren wir nun den Punkt \(x \in [a,b]\) mit Hilfe einer Funktion \(\varphi \colon [0,n] \rightarrow [a,b]\) mit \(\varphi(t) \coloneqq h\cdot t + a = x\), so sehen wir, dass gilt
Wenden wir diese Subsitution auf das Integral für die Gewichte der Quadraturformel in (6.3) an, so erhalten wir:
Damit lassen sich die Integrationsformeln nach Newton-Cotes schreiben als
wobei die Gewichte \(W_k\) nicht von der Funktion \(f\) abhängen und sich durch einfach zu berechnende Integrale bestimmen lassen.
Wir betrachten im folgenden einige Beispiele für interpolatorische Quadraturformeln.
Beispiel 6.2 (Quadraturformeln)
Wir wollen in diesem Beispiel zwei bekannte Quadraturformeln für die Approximation des Integrals für unterschiedliche Anzahl der Stützpunkte \(n \in \mathbb{N}_+\) aus den Integrationsformeln nach Newton-Cotes herleiten.
Für \(n=1\) erhalten wir eine Quadraturformel, die auf zwei Funktionswerten beruht, die sogenannte Trapezregel mit
\[I_1(f) \ = \ h (f(x_0) W_0 + f(x_1) W_1) \ = \ h \left( f(a) W_0 + f(b) W_1 \right)\]Hierbei ist \(h = \frac{b-a}{n} = b-a\) die Länge des Intervalls.
Berechnen wir die Gewichte \(W_0\) und \(W_1\) durch Integration so erhalten wir
\[W_0 \ \coloneqq \ \int_0^1 \frac{t-1}{0-1} \, \mathrm{d}t \ = \ \int_0^1 1 - t \, \mathrm{d}t \ = \ \left[ t -\frac{1}{2}t^2 \right]^1_0 \ = \ 1 -\frac{1}{2} \ = \ \frac{1}{2}\]und
\[W_1 \ \coloneqq \ \int_0^1 \frac{t-0}{1-0} \, \mathrm{d}t \ = \ \int_0^1 t \, \mathrm{d}t \ = \ \left[ \frac{1}{2}t^2 \right]^1_0 \ = \ \frac{1}{2}\]Somit erhalten wir insgesamt für die Trapezregel die Quadraturformel
\[I_1(f) \ = \ \frac{h}{2}(f(a) + f(b)) \ = \ \frac{b-a}{2}(f(a) + f(b)).\]fig:quadraturformeln
visualisiert die Approximation des Integrals einer Funktion mit Hilfe der Trapezregel, deren Namen sich an der Form der Fläche der Quadraturformel ablesen lässt.Für \(n=2\) erhalten wir eine relativ einfache Quadraturformel, die sich jedoch als erstaunlich genau herausstellt. Wir erhalten die sogenannte Simpsonregel (auch bekannt als Keplersche Fassregel durch
\[\begin{split} I_2(f) \ &= \ h (f(x_0) W_0 + f(x_1) W_1 + f(x_2) W_2) \\ &= \ h \left( f(a) W_0 + f\left(\frac{a+b}{2}\right)W_1+ f(b) W_2 \right) \end{split}\]Hierbei ist die Schrittweite gegeben durch \(h = \frac{b-a}{n} = \frac{b-a}{2}\).
Berechnen wir die Gewichte \(W_0, W_1\) und \(W_2\) durch Integration so erhalten wir
\[\begin{split} W_0 \ &\coloneqq \ \int_0^2 \frac{t-1}{0-1} \cdot \frac{t-2}{0-2} \, \mathrm{d}t \ = \ \int_0^2 (1 - t)(1 - \frac{t}{2}) \, \mathrm{d}t \\ &= \ \int_0^2 \frac{1}{2}t^2 - \frac{3}{2}t + 1 \, \mathrm{d}t \ = \ \left[ \frac{1}{6}t^3 -\frac{3}{4}t^2 + t \right]^2_0 \ = \ \frac{8}{6} - 3 + 2 \ = \ \frac{1}{3},\\ W_1 \ &\coloneqq \ \int_0^2 \frac{t-0}{1-0} \cdot \frac{t-2}{1-2} \, \mathrm{d}t \ = \ \int_0^2 t \cdot \frac{t-2}{-1} \, \mathrm{d}t \\ &= \ \int_0^2 -t^2 + 2t \, \mathrm{d}t \ = \ \left[ -\frac{1}{3}t^3 + t^2 \right]^2_0 \ = \ -\frac{8}{3} + 4 \ = \ \frac{4}{3}, \end{split}\]und
\[\begin{split} W_2 \ &\coloneqq \ \int_0^2 \frac{t-0}{2-0} \cdot \frac{t-1}{2-1} \, \mathrm{d}t \ = \ \int_0^2 \frac{t}{2} \cdot (t - 1) \, \mathrm{d}t \\ &= \ \int_0^2 \frac{1}{2}(t^2 - t) \, \mathrm{d}t \ = \ \left[ \frac{1}{6}t^3 - \frac{1}{4}t^2 \right]^2_0 \ = \ \frac{8}{6} - 1 \ = \ \frac{1}{3}. \end{split}\]Somit erhalten wir insgesamt für die Simpsonregel die Quadraturformel
\[I_2(f) \ = \ \frac{h}{3}\left(f(a) + 4f\left(\frac{a+b}{2}\right) + f(b) \right) \ = \ \frac{b-a}{6}\left(f(a) + 4f\left(\frac{a+b}{2}\right) + f(b) \right).\]fig:quadraturformeln
visualisiert die Approximation des Integrals einer Funktion mit Hilfe der Simpsonregel.
Bemerkung 6.2 (Exaktheit interpolatorischer Quadraturen)
Es ist in der Tat möglich noch genauere interpolatorische Quadraturen mit Hilfe der Newton-Cotes Integrationsformeln herzuleiten. Tab. 6.1 zeigt eine kompakte Darstellung der ersten sechs Quadraturen basierend auf den Gewichten \(W_k\). Für \(n \geq 8\) treten jedoch negative Gewichte \(W_k\) in der Quadraturformel auf (siehe [Qua]), was sie numerisch ungünstig macht, da es ein hinreichendes Kriterium für die Stabilität aufhebt, wie man in Satz 6.1 sieht.
Typischerweise verwendet man für die Integration nur interpolatorische Quadraturen bis \(n \geq 3\), d.h. die Simpsonregel, da die erreichte Genauigkeit häufig ausreichend ist für die meisten Anwendungen, wie wir in den folgenden Abschnitten sehen werden.
Man sieht ein, dass interpolatorische Quadraturformeln mit Polynomen \(P\in \Pi_n\) alle Polynome vom Grad kleiner gleich \(n\) exakt integriert, da diese offensichtlich exakt interpoliert werden. Allgemein nennt man eine Quadraturformel vom Exaktheitsgrad \(r\in \N\), wenn alle Polynome vom Grad kleiner gleich \(r\) exakt integriert werden.
\(n\) |
\(W_k\) / Faktor |
Faktor |
Name |
||||||
1 |
1 |
1 |
\(\frac{1}{2}\) |
Trapez-Regel |
|||||
2 |
1 |
4 |
1 |
\(\frac{1}{3}\) |
Simpson-Regel |
||||
3 |
1 |
3 |
3 |
1 |
\(\frac{3}{8}\) |
Newton \(\frac{3}{8}\)-Regel |
|||
4 |
7 |
32 |
12 |
32 |
7 |
\(\frac{2}{45}\) |
Milne-Regel |
||
5 |
19 |
75 |
50 |
50 |
75 |
19 |
\(\frac{5}{288}\) |
6-Punkt-Regel |
|
6 |
41 |
216 |
27 |
272 |
27 |
216 |
41 |
\(\frac{1}{140}\) |
Weddle-Regel |
Das folgende Beispiel vergleicht die Genauigkeit der numerischen Integration für verschiedene Werte von \(n\).
Beispiel 6.3 (Genauigkeit numerischer Integration)
In diesem Beispiel wollen wir die numerische Integration mit Hilfe der Mittelspunktregel und den ersten interpolatorischen Quadraturen für die einfache Funktion \(f(x) \coloneqq e^x\) für verschiedene Werte von \(n\) miteinander vergleichen. Zunächst bestimmen wir analytisch den Wert des bestimmten Integrals
Wenden wir zunächst die Mittelpunktsregel an, so erhalten wir
Nun betrachten wir die interpolatorischen Quadraturen für \(n=1,2,3\):
6.1.2. Numerischer Integrationsfehler#
Es ist klar, dass man bei der Annäherung des bestimmten Integrals durch eine Quadraturformel einen Approximationsfehler macht. Dieser wird maßgeblich durch die Wahl der Stützstellen und Gewichte der Quadraturformel in Definition 6.1 beeinflusst. Aus Sicht der Numerik ist es interessant den Fehler dieser Approximation zu berechnen, d.h., \(\vert \int_a^b f(x)\,\mathrm{d}x - I(f) \vert\) abzuschätzen. Darüberhinaus wollen wir die Entwicklung des Fehlers der interpolatorischen Quadraturformeln nach Newton-Cotes der Form
für \(n \rightarrow \infty\) untersuchen.
Aus den Fehlerabschätzungen zur Polynominterpolation erhalten wir direkt eine Abschätzung für die Integrationsformeln nach Newton-Cotes Formel, wie das folgende Theorem zeigt.
Satz 6.2 (Fehlerabschätzung für die interpolatorische Quadratur)
Wir können im Folgenden zwei unterschiedliche Fehlerabschätzungen basierend auf der Wahl von \(n \in \N_+\) formulieren. Entscheidend ist, dass man bei geradem \(n\) durch den Übergang zu \(n+1\) keine Potenz der Schrittweite \(h\) in der Fehlerabschätzung hinzugewinnt.
Sei im Allgemeinen \(I_n(f)\) eine interpolatorische Quadraturformel auf dem Intervall \([a,b] \subset \R\) für eine integrierbare Funktion \(f \colon [a,b] \rightarrow \R\) und sei \(h \coloneqq \frac{b-a}{n}\) die Schrittweite der äquidistanten Diskretisierung des Intervalls.
Sei \(f \in C^{n+1}([a,b])\) für \(n\in\N_+\) beliebig. Dann gilt:
\[\left\vert \int_a^b f(x)\,\mathrm{d} x - I_n(f) \right\vert \ \leq \ c_n h^{n+2} \max_{x \in [a,b]} |f^{n+1}(x)|\]mit
\[c_n \ \coloneqq \ \frac{1}{(n+1)!} \int_0^n \prod_{k=0}^n |t - k| \, \mathrm{d}t.\]Sei \(f \in C^{n+2}([a,b])\) für \(n\in\N_+\) gerade. Dann gilt:
\[\left\vert \int_a^b f(x)\,\mathrm{d} x - I_n(f) \right\vert \ \leq \ c^*_n h^{n+3} \max_{x \in [a,b]} |f^{n+2}(x)|, \qquad \text{ für } \ c^*_n \ \coloneqq \ \frac{n}{2} c_n.\]
Proof. \
Da es sich bei \(I_n(f)\) um eine interpolatorische Quadraturformel handelt gilt
\[\int_a^b f(x)\,\mathrm{d} x - I_n(f) \ = \ \int_a^b f(x) - P(x)\,\mathrm{d} x\]für das eindeutig bestimmte Interpolationspolynom \(P \in \Pi_n\).
Nach Satz 5.2 können wir den Interpolationsfehler wie folgt angeben:
\[f(x) - P(x) \: = \: \frac{w_{n+1}(x)}{(n+1)!}f^{(n+1)}(\xi), \qquad \text{ mit } \quad w_{n+1}(x) \: = \: \prod_{k=0}^n(x-x_k),\]für ein \(\xi \in [a,b]\). Somit erhalten wir für den Fehler der interpolatorischen Quadraturformel schon direkt die Abschätzung
\[\left\vert \int_a^b f(x)\,\mathrm{d} x - I_n(f) \right\vert \ \leq \ \frac{1}{(n+1)!} \max_{x\in[a,b]}|f^{(n+1)}(x)| \cdot \int_a^b |w_{n+1}(x)| \, \mathrm{d}x.\]Wir können nun die Substitution \(\varphi(t) = t\cdot h + a = x\) wieder auf das Integral \(\int_a^b |w_{n+1}(x)| \mathrm{d}x\) anwenden und erhalten
\[\int_a^b |w_{n+1}(x)| \, \mathrm{d}x \ = \ \int_{\varphi(0)}^{\varphi(n)} \prod_{k=0}^n |x - x_k| \, \mathrm{d}x \ = \ \int_0^n \prod_{k=0}^n |h(t-k)| \cdot h \, \mathrm{d}t \ = \ h^{n+2} \int_0^n \prod_{k=0}^n |t-k| \, \mathrm{d}t.\]Somit erhalten wir insgesamt
\[\left\vert \int_a^b f(x)\,\mathrm{d} x - I_n(f) \right\vert \ \leq \ c_n h^{n+2} \max_{x \in [a,b]} |f^{n+1}(x)|.\]Wir bemerken zunächst, dass für ein gerades \(n\in \N_+\) das Polynom \(w_{n+1}\in \Pi_{n+1}\) eine ungerade Funktion ist bezüglich des Mittelpunktes des Intervalls \(c \coloneqq \frac{a+b}{2}\) und somit gilt
\[\int_a^b w_{n+1}(x) \, \mathrm{d}x \ = \ 0.\]Nach Satz 5.2 können wir den Interpolationsfehler wieder wie folgt angeben:
\[f(x) - P(x) \ = \ \frac{w_{n+1}(x)}{(n+1)!}f^{(n+1)}(\xi),\]für ein \(\xi \in [a,b]\). Da wir die Funktion \(f \in C^{n+2}([a,b])\) angenommen haben, können wir den Wert \(f^{n+1}(\xi)\) nochmal Taylorentwickeln in \(c \in [a,b]\) und erhalten somit für den Integrationsfehler
\[\begin{split} \int_a^b f(x) - P(x) \, \mathrm{d}x \ &= \ \frac{1}{(n+1)!}\int_a^b w_{n+1}(x) f^{(n+1)}(\xi(x)) \, \mathrm{d}x \\ &= \ \frac{1}{(n+1)!}\int_a^b w_{n+1}(x) [f^{(n+1)}(c) + (\xi(x) -c)f^{n+2}(\eta(x)) ] \, \mathrm{d}x \\ &= \ \frac{1}{(n+1)!} f^{(n+1)}(c) \underbrace{\int_a^b w_{n+1}(x) \, \mathrm{d}x}_{= \, 0} \\ & \qquad \qquad + \frac{1}{(n+1)!}\int_a^b w_{n+1}(x) (\xi(x) -c)f^{n+2}(\eta(x)) \, \mathrm{d}x\\ &= \ \frac{1}{(n+1)!}\int_a^b w_{n+1}(x) (\xi(x) -c)f^{n+2}(\eta(x)) \, \mathrm{d}x. \end{split}\]Wegen
\[|\xi - c| \ \leq \ c - a \ = \ \frac{b-a}{2} \ = \ \frac{n}{2}\cdot h\]können wir mit dem Resultat aus \((i)\) insgesamt abschätzen
\[\begin{split} \left\vert \int_a^b f(x) - P(x) \, \mathrm{d}x \right\vert \ &\leq \ \frac{1}{(n+1)!} \int_a^b |w_{n+1}(x)| \, \mathrm{d}x \cdot \frac{n}{2} \cdot h \cdot \max_{x \in [a,b]} |f^{n+2}(x)|\\ &= \ h^{n+2} \cdot c_n \cdot \frac{n}{2} \cdot h \cdot \max_{x \in [a,b]} |f^{n+2}(x)| \ = \ h^{n+3} \cdot c^*_n \cdot \max_{x \in [a,b]} |f^{n+2}(x)|. \end{split}\]
◻
Die Fehlerabschätzung in Satz 6.2 ist eher von theoretischer Natur und selten von praktischer Relevanz, da es in Anwendungsfällen in der Regel sehr schwierig ist das Maximum hoher Ableitungen einer Funktion \(f\) konkret zu bestimmen. Dennoch liefert uns das Theorem die Aussage, dass der Fehler hauptsächlich vom Maximum der \((n+1)\)-en Ableitung von \(f\) abhängt und mit welcher Potenz der Schrittweite \(h\) dieser Fehler gegen \(0\) geht.
Bemerkung 6.3 (Divergenz des numerischen Integrationsfehlers)
Da wir im Allgemeinen keine obere Schranke für hohe Ableitungen einer Funktion \(f \in C^\infty([a,b])\) haben, kann es passieren, dass der Approximationsfehler durch die numerische Integration bei Verwendung von interpolatorischen Quadraturformeln für \(n \rightarrow \infty\) divergiert. Insbesondere erhalten wir nicht die gewünschte Konvergenz des Fehlers gegen Null, d.h., es gilt im Allgemeinen:
Das folgende Beispiel berechnet allgemeine Fehlerabschätzungen für die ersten beiden interpolatorischen Quadraturformeln.
Beispiel 6.4 (Fehlerabschätzungen für interpolatorische Quadraturen)
In diesem Beispiel untersuchen wir den allgemeinen Fehler der interpolatorischen Quadraturformeln aus Beispiel 6.2 für \(n=1\) und \(n=2\).
Für \(n=1\) betrachten wir die Trapezregel und es gilt die Identität
\[\int_0^1 |t-0|\cdot|t-1| \,\mathrm{d}t \ = \ \int_0^1 t \cdot (1-t) \,\mathrm{d}x \ = \ \int_0^1 t - t^2 \,\mathrm{d}x \ = \ \left[ \frac{1}{2}t^2 -\frac{1}{3}t^3 \right]_0^1 \ = \ \frac{1}6.\]Nehmen wir nun an, dass eine Funktion \(f \in C^2([a,b])\) vorliegt, so können wir das Satz 6.2 anwenden und erhalten die Fehlerabschätzung
\[\begin{split} \left\vert \int_a^b f(x)\,\mathrm{d} x - I_1(f) \right\vert \ &\leq \ c_1 \cdot h^{3} \cdot \max_{x \in [a,b]} |f''(x)| \\ &= \ (b-a)^3 \cdot \frac{1}{2} \int_0^1 |t-0|\cdot |t-1| \, \mathrm{d}t \cdot \Vert f''(x)\Vert_\infty \\ &= \ \frac{(b-a)^3}{12} \cdot \Vert f'' \Vert_\infty. \end{split}\]Für \(n=2\) berachten wir die Simpsonregel und es gilt die Identität
\[\begin{split} \int_0^2 |t-0|\cdot|t-1|\cdot|t-2| \,\mathrm{d}t &= \int_0^1 t \cdot (1-t) \cdot (2-t) \,\mathrm{d}t + \int_1^2 t \cdot (t-1) \cdot (2-t) \,\mathrm{d}t \\ &= \ \int_0^1 t^3 - 3t^2 + 2t \,\mathrm{d}t + \int_1^2 -t^3 + 3t^2 - 2t \,\mathrm{d}t \\ &= \ \left[ \frac{1}{4}t^4 -t^3 + t^2 \right]_0^1 + \left[ -\frac{1}{4}t^4 +t^3 - t^2 \right]_1^2 \\ &= \ \frac{1}{4} - 1 + 1 + (-4 + 8 -4) + \frac{1}{4} - 1 + 1 \ = \ \frac{1}{2}. \end{split}\]Da \(n=2\) gerade ist nehmen wir eine Funktion \(f \in C^4([a,b])\) an und wenden Satz 6.2 an um die folgende Fehlerabschätzung zu erhalten
\[\begin{split} \left\vert \int_a^b f(x)\,\mathrm{d} x - I_2(f) \right\vert \ &\leq \ h^{5} \cdot c^*_2 \cdot \max_{x \in [a,b]} |f^{(4)}(x)| \\ &= \ \left(\frac{b-a}{2}\right)^5 \cdot \frac{1}{6} \int_0^2 |t-0|\cdot |t-1| \cdot |t-2| \, \mathrm{d}t \cdot \Vert f^{(4)}(x)\Vert_\infty \\ &= \ \frac{(b-a)^5}{384} \cdot \Vert f^{(4)} \Vert_\infty. \end{split}\]
Bemerkung 6.4 (Peanosche Fehlerdarstellung)
Die in Satz 6.2 gegebene Fehlerabschätzung ist nur eine obere Schranke. In der Tat ist es mittels der Peanoschen Fehlerdarstellung [FH07] möglich den numerischen Integrationsfehler exakter zu berechnen. Die zugehörige Theorie liegt jedoch außerhalb des Umfangs dieser Vorlesung.
6.1.3. Stückweise interpolatorische Quadratur#
Wie wir in Runges Gegenbeispiel in Beispiel 5.5 gesehen haben geht der Interpolationsfehler \(||f - P_n||_\infty\) für ein Interpolationspolynom \(P_n \in \Pi_n\) für \(n\rightarrow \infty\) im Allgemeinen nicht gegen Null, wenn man das Intervall mit äquidistanten Stützstellen diskretisiert, was an der Unbeschränktheit des Terms \(||f^{n+1}(x)||_\infty\) liegt. Dementsprechend können wir nicht erwarten, dass die interpolatorischen Quadraturen eine immer bessere Integral-Approximation für immer größer werdende \(n\in \N\) liefern.
Im Falle der numerischen Interpolation haben wir in Spline-Interpolation die Idee der Interpolation mit Splines von niedrigem Grad \(n \in \N\) eingeführt und deren Vorteile diskutiert. Als interpolierende Funktion für die Integrationsformeln nach Newton-Cotes können wir neben regulären Polynomen natürlich auch hier stückweise zusammengesetzte Polynome verwenden.
Wir verwenden in diesem Abschnitt wieder eine Diskretisierung des Intervalls \([a,b]\subset \R\) mit fester Schrittweite \(h = \frac{b-a}{n}\) und \(n+1\) äquidistanten Stützstellen \(x_0,\ldots,x_n \in [a,b]\) wie in (6.1). Anstatt die interpolatorischen Quadraturformeln aus dem letzten Abschnitt für das gesamte Intervall \([a,b]\) anzuwenden, beschränken wir uns im Folgenden auf eine Reihe geeigneter Teilintervalle von \([a,b]\) und summieren schließlich die Teilapproximationen für eine Annäherung des bestimmten Integrals \(\int_a^b f(x) \mathrm{d}x\). Der Vorteil dieses Vorgehens ist es, dass wir den Maximalwert der höchsten auftretenden Ableitung beschränken können und somit Fehlerabschätzungen abhängig von der Schrittweite \(h\) der Diskretisierung erhalten.
Im Fall eines linearen Polynoms, d.h für \(n=1\), wenden wir also die interpolatorische Quadraturformel \(I_1\) (was der Trapezregel entspricht) für jedes Teilintervall \([x_i, x_{i+1}], i=0,\ldots,n-1\) an. Dementsprechend definieren wir die Annäherungswerte der numerischen Integration mittels Trapezregel auf den \(n\) Teilintervallen von \([a,b]\) wie folgt:
Wir erhalten somit für das gesamte Intervall \([a,b]\) durch Summation über die \(n\) Teilintervalle die sogenannte zusammengesetzte Trapezregel oder Trapezsumme als
Man beachte, dass es sich hierbei in der Tat um einen Spline vom Grad \(1\) gemäß Definition 5.7 handelt.
Dieses Prinzip können wir auch auf andere Quadraturformeln anwenden, indem wir diese einfach auf geeignete Teilintervallen anwenden. So können wir zum Beispiel für gerades \(n\in \N, n\geq4\) auf jedes Teilintervall \([x_{2i},x_{2i+2}] \subset [a,b], i=0,\ldots,\frac{n}{2}-1\) die Simpsonregel mit Hilfe eines quadratischen Polynoms anwenden. In diesem Fall definieren wir die Annäherungswerte der numerischen Integration auf den \(\frac{n}{2}\) Teilintervallen von \([a,b]\) wie folgt:
Wir erhalten somit für das gesamte Intervall \([a,b]\) durch Summation über die \(\frac{n}{2}\) Teilintervalle die sogenannte zusammengesetzte Simpsonregel als
Mit Hilfe der Fehlerabschätzungen für die Trapez- und die Simpsonregel in Beispiel 6.4 können wir den Fehler für die stückweisen interpolatorischen Quadraturen mit linearen und quadratischen Polynomen angeben.
Korollar 6.1 (Fehler für stückweise interpolatorische Quadratur)
Sei \(f \colon [a,b] \rightarrow \R\) eine integrierbare, hinreichend glatte Funktion und sei \(h \coloneqq \frac{b-a}{n}\) eine feste Schrittweite für eine Diskretisierung des Intervalls \([a,b] \subset \R\) in \(n\in\N_+\) gleich große Teilintervalle. Dann können wir den Fehler für die stückweise interpolatorischen Quadraturen mit linearen und quadratischen Polynomen nach oben wie folgt abschätzen.
Für \(f \in C^2([a,b])\) gilt für die zusammengesetzte Trapezregel \(T(h)\) die Fehlerabschätzung:
\[\begin{split} \left\vert \int_a^b f(x) \, \mathrm{d}x - T(h) \right\vert \ &= \ \left\vert \int_a^b f(x) \, \mathrm{d}x - \sum_{i=0}^{n-1} I_1^i(h) \right\vert \\ &= \ \left\vert \sum_{i=0}^{n-1} \int_{x_i}^{x_{i+1}} \!\! f(x) \, \mathrm{d}x -I_1^i(h) \right\vert \\ &\leq \ \sum_{i=0}^{n-1} \left\vert\int_{x_i}^{x_{i+1}} \!\! f(x) \, \mathrm{d}x - \frac{h}{2} (f(x_i) + f(x_{i+1})) \right\vert \end{split}\]Wir können nun die Fehlerabschätzung für die Trapezregel aus Beispiel 6.4 einsetzen und erhalten somit
\[\left\vert \int_a^b f(x) \, \mathrm{d}x - T(h) \right\vert \ \leq \ \sum_{i=0}^{n-1} \frac{h^3}{12} \Vert f'' \Vert_\infty \ = \ n \cdot \frac{b-a}{n} \cdot \frac{h^2}{12} \Vert f'' \Vert_\infty \ = \ \frac{b-a}{12} h^2 \Vert f'' \Vert_\infty.\]Für \(f \in C^4([a,b])\) und eine gerade Anzahl \(n \in \N_+\) von Teilintervallen gilt für die zusammengesetzte Simpsonregel \(S(h)\) die Fehlerabschätzung:
\[\begin{split} \left\vert \int_a^b f(x) \, \mathrm{d}x - S(h) \right\vert \ &= \ \left\vert \int_a^b f(x) \, \mathrm{d}x - \sum_{i=0}^{\frac{n}{2}-1} I_2^i(h) \right\vert \ = \ \left\vert \sum_{i=0}^{\frac{n}{2}-1} \int_{x_{2i}}^{x_{2i+2}} \!\! f(x) \, \mathrm{d}x -I_2^i(h) \right\vert \\ &\leq \ \sum_{i=0}^{\frac{n}{2}-1} \left\vert\int_{x_{2i}}^{x_{2i+2}} \!\! f(x) \, \mathrm{d}x - \frac{h}{3}\left(f(x_{2i}) + 4f(x_{2i+1}) + f(x_{2i+2}) \right) \right\vert \end{split}\]Wir können wiederum die Fehlerabschätzung für die Simpsonregel aus Beispiel 6.4 einsetzen und erhalten somit
\[\begin{split} \left\vert \int_a^b f(x) \, \mathrm{d}x - S(h) \right\vert \ &\leq \ \sum_{i=0}^{\frac{n}{2}-1} \frac{h^5}{12} \cdot \Vert f^{(4)} \Vert_\infty \ = \ \frac{n}{2} \cdot \frac{b-a}{n} \cdot \frac{h^4}{12} \Vert f^{(4)} \Vert_\infty \\ &= \ \frac{b-a}{24} h^4 \Vert f^{(4)} \Vert_\infty. \end{split}\]
Bemerkung 6.5 (Konvergenz des numerischen Integrationsfehlers)
Durch die Fehlerabschätzungen in Korollar 6.1 sehen wir, dass der Approximationsfehler der numerischen Integration für die oben hergeleiteten stückweise interpolatorischen Quadraturformeln im Gegensatz zu den einfachen interpolatorischen Quadraturformeln (wie in Bemerkung 6.3 diskutiert) gegen Null konvergiert, da in diesem Fall die Maximumsnorm der Ableitung der Funktion \(f\) unabhängig von \(n\in\N\) ist und somit beschränkt ist. Das heißt es gilt: